„Wir sind hier, um eine Botschaft des guten Willens und der Fürsorge, der Aufgeschlossenheit und des freien Ausdrucks zu verbreiten“, sagt ein Mann – Halbglatze, schwarze Kutte und Teufelshörner – zu einem Reporter, als er die Stiegen des Kapitols in Florida hinaufsteigt. Auf einem riesigen Transparent ist „Hail Satan! Hail Rick Scott!“ zu lesen. Scott war zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2013 Floridas Gouverneur und erließ ein Gesetz, mit dem Gebete in der Schule erlaubt wurden – ohne eine bestimmte Religion darin festzuschreiben.
Für das damalige Dreimannprojekt Satanic Temple Grund genug, das Gesetz als Erfolg für ihre frisch gegründete Religionsgemeinschaft öffentlich kundzutun: Endlich seien damit satanistische Gebete in der Schule möglich, so die frohe Botschaft vor ein paar Schaulustigen und den versammelten lokalen Medien. Die Bilder des Auftritts gingen weit über die Stadtgrenzen der Hauptstadt Tallahassee hinaus – und machten die Organisation so über Nacht bekannt.
Der Zehn-Gebote-Werbegag
Satan, so lässt Mitbegründer Lucien Greaves in einem Interview mit dem konservativen Nachrichtensender Fox News wissen, sei nur ein „Symbol“, quasi der „ultimative Rebell gegen die Tyrannei“ – Lane zoomt in ihrer Dokumentation in dem Moment auf den verdutzten Blick der Moderatorin.
Die zahlreichen Interviews, die die Regisseurin mit Greaves und den anderen Mitbegründern führte, von denen nur die Silhouette gezeigt wird (bei einem der beiden mit den obligatorischen Teufelshörnern), zeigen jedenfalls ein recht säkulares Selbstverständnis. Man wolle das Bild der USA als „christliche Nation“ hinterfragen.
Was folgt ist ein äußerst unterhaltsamer Exkurs in die Geschichte der USA: Lane erzählt durch ihre Interviewpartner und kuriose Archivschnipsel etwa, wie „In God We Trust“ den Weg auf den Dollarschein gefunden hat. Auch, dass die Zehn-Gebote-Tafeln vor vielen US-Behörden auf die Aktion eines Filmstudios zurückgehen, erlaubt eine neue Perspektive auf das Verhältnis der USA zur Religion.
Ein religiöses Auffangbecken
Die Mitglieder der Kirche, die Lane vor die Kamera holt, sind auf den ersten Blick aus allen Schichten und Altersgruppen, mit bunten Haaren und Piercings, bis hin zum konvertierten Atheisten mit Hemd und Mascherl. Greaves selbst, stets in schwarz gekleidet, ist Harvard-Absolvent. Ihnen ist dennoch eines gemeinsam: Sie haben sich in ihrer Vergangenheit nicht ausreichend repräsentiert gefühlt, sind also praktisch Außenseiter.
Aktionismus für die US-Verfassung
In seinen Methoden greift der Satanic Temple vor allem auf Aktionismus zurück. Vor einem US-Regierungsgebäude soll etwa eine Baphomet-Statue – finanziert per Crowdfunding – aufgestellt werden, quasi als Gegenpol zu einer Steintafel mit den Zehn Geboten, die ebendort errichtet wurde. Es ist keine Nacht-und-Nebel-Aktion, sondern stets der Behördenweg, der gegangen wird – der auf Widerstand aus Politik, Bevölkerung und Medien stößt.
Der Zweieinhalb-Meter-Baphomet begeht letztlich eine Reise: An seinem ursprünglich vorgesehenen Einsatzort in Oklahoma wurde die Statue nie aufgestellt – das Gericht hatte schon zuvor entschieden, dass das Aufstellen einer Zehn-Gebote-Tafel nicht rechtens sei. Schließlich findet sie vor dem Kapitol im Bundesstaat Arkansas Platz – allerdings nur kurzfristig, denn Genehmigung erhielt man für die Aufstellung keine.
Die Aufregung ist wohl auch deshalb so groß, weil die immer wieder betonte Abgrenzung von der Teufelsanbetung, wie man sie als Klischee aus den vergangenen Jahrzehnten kennt, auf wenig Verständnis stößt. Vor allem in den südlicheren US-Staaten ist der Widerstand aus dem konservativen Christentum groß, Greaves und sein Team berichten von Morddrohungen, in einer Szene trägt er sogar eine schusssichere Weste. Dass ausgerechnet die Kirche in Boston – deren Vertuschungsskandal rund um eine Missbrauchsserie war 2015 bei der Viennale in „Spotlight“ zu sehen – gegen die Satanisten auf die Straße geht, stößt bei den Anhängern des Tempels auf wenig Verständnis.
Filmhinweis
„Hail Satan?“ wird bei der Viennale am 31. Oktober um 23.15 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus sowie am 6. November um 21.00 Uhr im Metro Kino gezeigt.
Von der Sockensammlung zum Herrschermord
Die Mitglieder werden von Lane in erster Linie friedfertig porträtiert: Einmal treffen sich Mitglieder, um einen Küstenstreifen zu reinigen, ein anderes Mal wird ein Freizeitclub für Schulkinder ins Leben gerufen. Socken werden für die Bedürftigen ebenso gesammelt wie Tampons für Frauen.
Statt der Zehn Gebote gibt es sieben Grundsätze – an erster Stelle heißt es, dass man sich bemühen sollte, „mit Mitgefühl und Empathie“ gegenüber „allen Geschöpfen, stets im Einklang mit der Vernunft“ zu handeln. An fünfter Stelle heißt es, dass man „wissenschaftliche Fakten nie verzerren solle, um sie dem Glauben anzupassen“.
„Hail Satan“ zeigt aber auch die Entwicklung eines „Kirchen-Start-ups“, das sich in sechs Jahren vom Dreimannbetrieb zur 50.000-Mitglieder-Kirche entwickelte. Das bedeutet: Bürokratie und ein Regelwerk, wie sich der Satanic Temple nach außen repräsentiert. Für eine Gemeinschaft, die sich selbst als Systemgegner präsentiert, kein leichtes Unterfangen.
So zeigt Lane auch eine Schwarze Messe, die aus dem Ruder läuft und damit endet, dass ein Gründungsmitglied damit droht, den nunmehrigen US-Präsidenten Donald Trump exekutieren zu wollen. Und auch das ist Satanismus: In der Gemeinschaft stieß Jex Blackmore mit ihrer Performance auf wenig Gegenliebe – und wurde daraufhin umgehend aus dem Satanic Temple ausgeschlossen.
Sympathie für den Teufel
Wie halten es die USA also mit der Religion? „Hail Satan?“ zeigt den skurrilen Kampf um Anerkennung einer Gemeinschaft, die optisch schräg anmuten mag, fernab der Symbolik aber wohl auch mit christlichen Grundsätzen vereinbar scheint. Lane bleibt in ihren Interviews stets auf Augenhöhe und verführt das Publikum nicht dazu, aus-, sondern in erster Linie mitzulachen. Skurril wirken dabei streckenweise beide Seiten des Spektrums: von den Pentagramm tragenden Mitgliedern bis hin zu den Südstaaten-Flaggen schwingenden Ultrakonservativen.
Was der Film aufgrund des Produktionsdatums nicht zeigt: Im April 2019 wurde der Satanic Temple vom US-Finanzamt offiziell als Kirche anerkannt und damit von der Steuer befreit. Ein großer Schritt auf dem Weg zum „American Dream“.